Gebrannte Mandeln in der Luft, Lichter in allen Fenstern — und millionenschwere Spots in jedem Werbeblock. Kein Zweifel: es ist Weihnachtszeit.
Weihnachten ist der Super Bowl Europas, wenigstens aus Werbe-Sicht. Wenn es draußen besinnlich wird, kämpfen die aufwändigsten Produktionen des Jahres um unsere Aufmerksamkeit. Der Zeitpunkt ist perfekt: das Fest der Liebe ist emotional, das Wetter ist kalt und in der Stube rieselt non-stop das Fernsehbild. So gut gelaunt zuhause wie in der Adventszeit ist das deutsche (bzw. europäische) Publikum sonst nie.
Alle Jahre wieder kämpfen die Firmen um diese gut gelaunte Aufmerksamkeit. Doch um an diesem Kampf überhaupt teilzunehmen, wagen die Werbetreibenden enorme Aufwände — für die Filmproduktion selbst und für die Media-Platzierungen.
Aber was bringt das aus Markensicht? Wohin soll die hart errungene Aufmerksamkeit führen? Konkret gefragt: inwiefern unterstützen diese Blockbuster-Spots die Brand Building und Markenwahrnehmung?
Finden wir es heraus.
Wir haben uns 13 aktuelle Weihnachtsspots genauer angeschaut und daraufhin untersucht, wie (bzw. ob) sie der Marke helfen. Denn jede Markenkommunikation, egal wie aufwändig, muss wesentlich zwei Dinge erreichen: sie muss nach außen hin distinktiv sein, also prägnant hervorstechen. Und sie muss nach innen hin kohärent sein, indem sie sich plausibel darstellt und positioniert.
Vereinfacht ausgedrückt, geht es bei der Distinktion um die Einzigartigkeit der Marke und bei der Kohärenz um ihre Wiedererkennbarkeit. Übersetzt man diese Anforderungen in Achsen, dann entsteht die folgende Vier-Felder-Matrix:
Wir beginnen unten links bei den ›Lebkuchenmännern‹: steife und grobe Filme mit wenig Distinktion und Kohärenz, die schnell vergessen sind und keinen sinnvollen Beitrag zum Brand Building leisten.
Die untersten Plätze teilen sich die Hamburger Firmen Tchibo und Otto. Ihre ›Geschichten‹ sind nicht tiefer als ein Angebotsprospekt in der Adventszeit. Für Tchibo ist das in gewisser Weise sogar kohärent, denn so verblüffend viel man dort auch findet: Storytelling ist keines dabei. Otto dagegen bäckt hier deutlich kleinere Plätzchen als in der Vergangenheit, als der Versandhändler mit enorm distinkten (aber wenig kohärenten) Weihnachtsspots aufgefallen war.
Zu den Lebkuchenmännern zählt außerdem Sky, das mit Harry Kane – umringt von den ›Squid-Game‹-Schurken – als Posterboy wirbt. Die Kurzgeschichte zeigt auch Produkt und Zielpublikum, aber die Wahl der Testimonials ist unglücklich: ›Squid Game‹ ist zu stark mit dem Konkurrenten Netflix assoziiert und Harry Kane ist just letztes Jahr in einem Weihnachtsspot eines anderen Konkurrenten aufgetreten: Amazon Prime Video Sport.
Aber das ist nichts gegen den Hauptdarsteller des Spots von Mediamarkt-Saturn. Jürgen Klopp ist inzwischen das Gesicht gewesen von (Luft holen): Opel und Nivea Man, Snickers und der Deutsche Vermögensberatung, von Erdinger, Warsteiner, Puma, Peleton, Kinder, Ergo, Seat, Volksbank … Hinzu kommt der kürzliche Einbruch seiner Popularität. Mutmaßlich war der Vertrag mit dem Elektronik-Riesen längst unterzeichnet, als der andere Vertrag (der mit Red Bull) zutage kam. Aus Storytelling-Sicht ist das besonders schade, da Mediamarkt-Saturn erst letztes Jahr mit einem besonders originellen Spot in der Adventszeit auffiel.
Im Quadrant unten rechts finden wir die ›Rentiere‹. Treue und kohärente Vehikel für eine Marke, denen es jedoch an distinktiver Prägnanz im dichten Weihnachts-Werbeumfeld mangelt.
Da ist zunächst Lidls Spot ›Magical Christmas‹, eine Geschichte über ein Mädchen, dessen größter Weihnachtswunsch darin liegt, anderen zu helfen. So weit, so besinnlich. Der Spot ist kohärent, weil er das zentrale Markenversprechen bedient, das Leben erschwinglicher zu machen. Die starke Einsatz von Logos und Markenfarben sorgt sogar für ein bisschen Distinktion — doch ist die Geschichte selbst so schnell wieder vergessen, wie sie erzählt worden ist.
Der Alleshändler Amazon ist auch dieses Jahr wieder im Weihnachtsumfeld aktiv. Sein aktueller Beitrag ist von einer wahren Geschichte inspiriert: ›Midnight Opus‹ handelt von einem Putzmann, der plötzlich auf der großen Bühne steht. Das Set-Design ist beachtlich, der Gesang wunderschön und der Brand Connect einigermaßen plausibel: hier gibt es kurzfristig alles, auch das richtige Sakko. Aber Inszenierung, Handlung und Botschaft nivellieren sich hier gegenseitig, sodass das Publikum zwar unterhalten wird, aber unentschieden zurückbleibt.
Oben links lassen sich die Spots einordnen, die zwar distinktiv im Sinne von auffällig sind, denen es aus Markensicht aber an Kohärenz fehlt. Wir sprechen hier von ›Wichteln‹: niedlich bis wundersam, aber ohne produktive Markeneffekte.
Das Paradebeispiel dafür liefert in diesem Jahr Coca-Cola. Der Spot ›The World Needs More Santas‹ ist dieses Jahr in aller Munde — allerdings aus den falschen Gründen, denn das Bemerkenswerteste daran ist, dass er (fast) vollständig mit AI produziert worden ist. Und warum auch nicht, könnte man denken. Coca-Colas Brand Assets sind die besten der Welt, die Weihnachtsgeschichten quasi Jahr für Jahr dieselben. Immerhin haben wir es dieser Firma zu verdanken, dass der Weihnachtsmann rot gekleidet ist! Doch das Echo war verheerend, denn das zentrale Markenversprechen — ›it’s the real thing!‹ – wurde mit diesem technologischen Stunt verraten.
Weitaus weniger dramatisch steht es um die anderen beiden ›Wichtel‹. Aldis ›Kevin the Carrot‹ ist schon deshalb kohärenter, weil das animierte Hauptdarsteller-Gemüse bereits im zweiten Jahr in Folge zu einer Mission antritt. Die Action-Persiflage ist aufwändig inszeniert und packend erzählt. Was das alles mit dem Discounter zu tun hat, sei allerdings dahingestellt.
Der letzte ›Wichtel‹-Eintrag hätte fast ein ›Stern‹ sein können, aber eben nur fast. Barbours Spot ist eine waschechte Episode der kultigen Kinderserie ›Shaun das Schaf‹ und wurde vom selben Animationsstudio entwickelt. Die Barbour-Kleidung wärmt die frierenden Schafe, sogar die Einkaufstaschen kommen vor, und allein für den Titel des Spots (›Baa-bour‹) gebührt der britischen Fashion Brand Applaus. Was den Spot aber inkohärent macht, ist die Flapsigkeit der Inszenierung, die nicht recht zu den Aspirationen von Barbours Zielpublikum passen will.
Die Spots in diesem Quadranten haben aus Sicht der Markenstrategie alles richtig gemacht. Sie besitzen hohe Distinktion durch originelles Storytelling und hohe Kohärenz durch die plausible Rückkopplung zum Markenversprechen. Der enorme Produktionsaufwand wird hier mit nachhaltigem Brand Building belohnt.
Der erste Eintrag gebührt John Lewis. Die britische Kaufhauskette hat das Genre der Weihnachtswerbung quasi erfunden und hält die Tradition bereits seit 2007 aufrecht. Der diesjährige Spot ›The Gifting Hour‹ ist genauso zauberhaft-verspielt, wie man es von der Marke kennt. Während der letzten knapp 20 Jahre hat John Lewis es geschafft, nur anhand einer bestimmten Tonalität erkannt zu werden — unabhängig von Darstellern oder Plots. Das ist hohe Brand-Story-Kunst.
Auch die britische Edel-Supermarktkette Waitrose (die übrigens John Lewis gehört) trifft alle Töne. Der Krimi um einen gestohlenen Pudding wird im Stile Agatha Christies erzählt — von einem All-Star-Ensemble um Matthew Macfadyen als Meisterdetektiv. Schauspieler, Story, Brand Connect und zweiteilige Aufbau machen ›Sweet Suspicion‹ zu einem der absoluten Gewinner dieser Weihnachtssaison.
Den Abschluss macht ein Bonner Unternehmen, und welches wohl? Die Deutsche Telekom erzählt mit ›Bubbles‹ eine Geschichte, die so alt wie Romeo und Julia – und doch so zeitgemäß wie nie. Das moderne Märchen über die beiden Mädchen, die ihre Filterblasen (bzw. Schneekugeln) durchbrechen, hat alles, was das Herz begehrt: Charme, Idee, Bildgewalt und eine herrlich weihnachtliche Botschaft, die die ewige Telekom-Botschaft ›connecting people‹ neu inszeniert.
Diese Analyse hat uns wesentlich drei Dinge gezeigt.
Erstens: Weihnachten ist unser Super Bowl. Die aufwändigsten Produktionen treffen hier auf das anspruchsvollste Publikum, denn die Menschen in ihren guten Stuben wollen unterhalten werden. Die besten Spots werden freiwillig geteilt, besprochen und gefeiert — das Potenzial für außergewöhnliches Brand Building ist also enorm.
Zweitens: für eine gelungene Markenbildung braucht es eine originelle Idee in Kombination mit einer plausiblen Rückkopplung zur Marke. Die ›Weihnachtssterne‹ Telekom, John Lewis und Waitrose liefern neue narrative Impulse und Key Visuals, die die Marken produktiv bereichern. Fairerweise sei gesagt: im Sinne der kurzfristigen Verkaufsförderung können Spots der Kategorien ›Lebkuchenmann‹, ›Wichtel‹ oder ›Rentier‹ trotzdem funktionieren. Aber langfristige Effekte fürs Brand Building erzielen sie nicht.
Drittens: in der umkämpften Weihnachts-Werbe-Zeit hervorzustechen, ist kein Selbstzweck. Coca-Cola liefert dieses Jahr den meistbesprochenen Beitrag, weil es der meistgehasste war — eine millionenschwere Produktion, die das zentrale Markenversprechen nicht nur nicht stärkte, sondern erodierte. Wie man positiv auffällt, zeigt ganz besonders Waitrose, weil hier Storytelling, Besetzung, Brand Fit und sogar die zweiteilige Media-Schaltung perfekt ineinandergreifen.